MAN schrieb das Jahr 1914. Die Welt befand sich im Krieg. Unvermittelt brach in einem Kriegsgefangenenlager in Serbien Typhus aus. Das war jedoch erst der Anfang. Die gefürchtete Seuche griff bald auf die Zivilbevölkerung über und verursachte in nur sechs Monaten den Tod von 150 000 Menschen. In Rußland starben in den Wirren des Krieges und der nachfolgenden Revolution drei Millionen Menschen an Typhus. Unter den Opfern sowie ihren trauernden Hinterbliebenen waren bestimmt viele gute Menschen.
Das ist nur ein Beispiel für menschliche Tragödien. Wer hat nicht selbst schon gelitten, weil ein geliebter Angehöriger einer Krankheit, einem Unfall oder einem anderen Unglücksschlag zum Opfer fiel? Wer ist nicht bedrückt, wenn er sieht, wie ein rechtschaffener Mensch die Qualen einer unheilbaren Krankheit durchmacht? Wer ist nicht tief betrübt, wenn ein guter Mensch — vielleicht ein hart arbeitender Familienvater — bei einem Unfall ums Leben kommt? Der Kummer der Hinterbliebenen bricht einem fast das Herz.
Viele haben das Empfinden, wer Gutes tue, solle dafür von Leiden verschont bleiben. Manche betrachten Leiden sogar als einen Beweis dafür, daß es sich bei dem Opfer um einen Missetäter handelt. So argumentierten drei Männer, die vor etwa 3 600 Jahren lebten. Sie waren Zeitgenossen eines guten Mannes namens Hiob. Versetzen wir uns in die damalige Zeit zurück, während wir nach der Antwort auf die Frage suchen: Warum müssen gute Menschen leiden?
Hiob war krank und litt unbeschreibliche Schmerzen, als seine drei angeblichen Freunde ihn aufsuchten. Er hatte seine zehn Kinder verloren und war all seiner Besitztümer beraubt worden. Personen, die Hiob einst sehr geachtet hatten, verabscheuten ihn jetzt. Sogar seine Frau wandte sich von ihm ab und forderte ihn auf, Gott zu fluchen und zu sterben (Hiob 1:1 bis 2:13; 19:13-19).
Sieben Tage und sieben Nächte lang sahen Hiobs Besucher seine Leiden schweigend mit an. Dann beschuldigte einer von ihnen Hiob gewisser unrechter Handlungen, für die er angeblich bestraft wurde. „Bedenke bitte“, sagte der Mann Eliphas, „welcher Unschuldige ist je umgekommen? Und wo sind die Rechtschaffenen je ausgetilgt worden? Nach dem, was ich gesehen habe, werden diejenigen, die Schädliches ersinnen, und diejenigen, die Ungemach säen, es selbst ernten. Durch den Odem Gottes kommen sie um, und durch den Geist seines Zorns enden sie“ (Hiob 4:7-9).
Eliphas behauptete demnach, Gott strafe Hiob für seine Sünden. Auch heute wird von manchen behauptet, Gott bringe Unglück über Menschen, um sie für Missetaten zu strafen. Doch Jehova strafte Hiob nicht wegen irgendwelcher ungerechter Taten. Das geht aus den Worten hervor, die Gott später zu Eliphas sprach: „Mein Zorn ist gegen dich und deine beiden Gefährten entbrannt, denn ihr habt von mir nicht geredet, was wahrhaftig ist, wie mein Knecht Hiob“ (Hiob 42:7).
Millionen leben heute in bitterer Armut und leiden Hunger — zweifellos gibt es darunter viele gute Menschen. So mancher läßt sich dadurch verbittern und macht Gott für sein Elend verantwortlich. Doch er ist nicht an Hungersnöten schuld. In Wirklichkeit ist er derjenige, der die Menschen mit Nahrung versorgt (Psalm 65:9).
Selbstsucht, Habgier und andere menschliche Faktoren können verhindern, daß Nahrung zu Hungernden gelangt. Einer der Gründe für Hungersnöte ist Krieg. So heißt es beispielsweise in der World Book Encyclopedia: „Krieg kann eine Hungersnot nach sich ziehen, wenn viele Bauern ihre Felder verlassen und sich den Streitkräften anschließen. Mitunter führte eine Armee absichtlich eine Hungersnot herbei, um den Feind auszuhungern und dadurch zur Aufgabe zu zwingen. In derlei Fällen werden Nahrungsmittelvorräte und Ernten vernichtet sowie Blockaden errichtet, um den Feind vom Nachschub an Nahrungsmitteln abzuschneiden. Durch Blockaden wurde während des nigerianischen Bürgerkriegs (1967—70) verhindert, daß Nahrungsmittellieferungen nach Biafra gelangten. Eine Hungersnot war die Folge, und wahrscheinlich verhungerten über eine Million Einwohner Biafras.“
Insbesondere während des Zweiten Weltkriegs, als viele gute Menschen litten und starben, machten manche zu Unrecht Gott dafür verantwortlich. Indes übertreten Menschen Gottes Gesetze, wenn sie einander hassen und bekriegen. Auf die Frage, welches Gebot „das erste von allen“ sei, antwortete Jesus Christus: „Das erste ist: ‚Höre, o Israel: Jehova, unser Gott, ist e i n Jehova, und du sollst Jehova, deinen Gott, lieben mit deinem ganzen Herzen und mit deiner ganzen Seele und mit deinem ganzen Sinn und mit deiner ganzen Kraft.‘ Das zweite ist dieses: ‚Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.‘ Kein anderes Gebot ist größer als diese“ (Markus 12:28-31).
Kann man zu Recht Gott die Schuld geben, wenn Leid die Folge davon ist, daß Menschen die Gesetze Gottes übertreten und sich gegenseitig im großen Stil niedermetzeln? Ist ein Vater, der seinen Kindern gebietet, nicht miteinander zu raufen, dafür verantwortlich zu machen, wenn sie verletzt werden, weil sie sich über seinen guten Rat hinwegsetzen? Nein, er ist ebensowenig dafür verantwortlich zu machen, wie Gott daran schuld ist, wenn Menschen leiden müssen, weil die göttlichen Gesetze mißachtet werden.
Obwohl viel Leid dadurch verursacht werden kann, daß man Jehovas Gesetze außer acht läßt, sagt die Bibel nicht, Katastrophen im allgemeinen seien Schläge Gottes, um die Bösen zu bestrafen. Als die ersten beiden Menschen sündigten, verwirkten sie Gottes besonderen Segen und Schutz. Von einigen Ausnahmefällen abgesehen, in denen ein göttlicher Eingriff der Verwirklichung des Vorsatzes Jehovas diente, ist das, was der Menschheit tagtäglich widerfahren ist, von dem biblischen Grundsatz bestimmt worden, daß „nicht den Schnellen der Wettlauf gehört noch den Starken die Schlacht, noch auch den Weisen die Speise, noch auch den Verständigen der Reichtum, noch selbst denen, die Kenntnisse haben, die Gunst, denn Zeit und unvorhergesehenes Geschehen trifft sie alle“ (Prediger 9:11).
Gute wie auch schlechte Menschen leiden
Wegen der ererbten Sünde und Unvollkommenheit leiden in Wirklichkeit sowohl gute wie auch schlechte Menschen (Römer 5:12). So leiden beispielsweise Gerechte und Böse gleichermaßen unter qualvollen Krankheiten. Der treue Christ Timotheus litt unter „häufigen Erkrankungen“ (1. Timotheus 5:23). Als der Apostel Paulus seinen eigenen ‘Dorn im Fleisch’ erwähnte, bezog er sich möglicherweise auf ein körperliches Leiden (2. Korinther 12:7-9). Gott behebt ererbte Schwächen oder die Anfälligkeit für Krankheiten selbst bei seinen loyalen Dienern gegenwärtig nicht.
Gottesfürchtige Menschen leiden womöglich auch deshalb, weil sie unvernünftig handeln oder sich nicht immer an den Rat der Bibel halten. Wer zum Beispiel Gott nicht gehorcht und einen Ungläubigen heiratet, leidet vielleicht später unter Eheproblemen, die vermeidbar gewesen wären (5. Mose 7:3, 4; 1. Korinther 7:39). Wenn sich ein Christ nicht ausgeglichen ernährt und sich nicht genügend Ruhe gönnt, leidet er möglicherweise, weil er seine Gesundheit ruiniert.
Geben wir einer Schwäche nach und handeln falsch, kann das seelisches Leid nach sich ziehen. König David machte viel durch, weil er mit Bathseba Ehebruch begangen hatte (Psalm 51). Solange er versuchte, seine Missetat zu verbergen, litt er große seelische Qualen. Er sagte: „Als ich stillschwieg, verzehrten sich meine Gebeine durch mein Gestöhn den ganzen Tag. . . . Mein Lebenssaft ist verwandelt worden wie in der trockenen Sommerhitze“ (Psalm 32:3, 4). Die Angstgefühle aufgrund seiner Schuld zehrten an Davids Lebenskraft, so wie eine Dürre oder die trockene Sommerhitze einem Baum die lebenswichtige Feuchtigkeit entziehen kann. Offenbar litt er sowohl seelisch als auch körperlich. Aber Psalm 32 zeigt, daß man von solchen Leiden erlöst werden kann, wenn man reuevoll seine Sünde bekennt und Gottes Vergebung erhält (Sprüche 28:13).
Schlechte Menschen leiden oft als Folge eines ausschweifenden Lebenswandels, nicht aufgrund göttlicher Bestrafung. Wegen schlechter Gewohnheiten wurde Herodes der Große von Krankheiten geplagt. Wie der jüdische Historiker Josephus berichtet, litt Herodes in seinen letzten Tagen schreckliche Qualen. Am ganzen Körper empfand er unerträgliches Jucken. In seinen Eingeweiden bildeten sich Entzündungen, und an den Geschlechtsteilen entstand ein fauliges Geschwür, das Würmer erzeugte. Vergeblich suchte er in den warmen Quellen von Kallirrhoe Linderung. Da seine Qualen sich bis aufs äußerste steigerten, versuchte er, sich mit einem Messer zu erstechen, wurde aber von seinem Cousin daran gehindert. (Siehe Jüdische Altertümer.)
Sich an das Gesetz Gottes zu halten bietet einen gewissen Schutz, etwa gegen sexuell übertragbare Krankheiten. Trotzdem scheinen gute Menschen, die Gottes Gunst zu erlangen suchen, mehr erleiden zu müssen als andere. Warum?
Warum gottesfürchtige Menschen leiden müssen
Gottesfürchtige Menschen müssen ganz besonders um ihrer Gerechtigkeit willen leiden. Das wird am Beispiel Josephs deutlich, dem Sohn des Patriarchen Jakob. Obgleich Potiphars Frau Joseph unablässig drängte, mit ihr Geschlechtsbeziehungen zu haben, erwiderte er fragend: „Wie . . . könnte ich diese große Schlechtigkeit begehen und in Wirklichkeit gegen Gott sündigen?“ (1. Mose 39:9). Das führte dazu, daß Joseph zu Unrecht eingesperrt wurde, und so litt er, weil er rechtschaffen war.
Aber warum läßt Gott zu, daß seine treuen Diener leiden müssen? Die Antwort hat mit einer Streitfrage zu tun, die der rebellische Engel Satan, der Teufel, aufgeworfen hat. Bei dieser Streitfrage geht es um die Lauterkeit Gott gegenüber. Woher wissen wir das? Weil es im Fall des bereits erwähnten gerechten Mannes Hiob verdeutlicht wurde.
Bei einer Zusammenkunft der Engelsöhne Gottes im Himmel fragte Jehova Satan: „Hast du dein Herz auf meinen Knecht Hiob gerichtet, daß es seinesgleichen keinen gibt auf der Erde, einen Mann, untadelig und rechtschaffen, gottesfürchtig und von Schlechtem weichend?“ Die Erwiderung des Teufels beweist, daß es um die Frage ging, ob Menschen ihre Lauterkeit Jehova gegenüber unter Prüfungen bewahren würden. Satan unterstellte Hiob, er diene Gott nicht etwa aus Liebe, sondern weil es ihm materielle Vorteile einbringe. Dann sagte Satan: „Zur Abwechslung strecke bitte deine Hand aus, und taste alles an, was er [Hiob] hat, und sieh, ob er dir nicht direkt ins Angesicht fluchen wird.“ Hierauf erwiderte Jehova: „Siehe! Alles, was er hat, ist in deiner Hand. Nur gegen ihn selbst strecke deine Hand nicht aus!“ (Hiob 1:6-12).
Trotz allem, was Satan unternahm, hielt Hiob an seiner Gerechtigkeit fest und bewies, daß er Jehova aus Liebe diente. Ja, Hiob sagte zu seinen Anklägern: „Es ist für mich undenkbar, daß ich euch gerechtsprechen sollte! Bis ich verscheide, werde ich meine unversehrte Lauterkeit nicht von mir weichen lassen!“ (Hiob 27:5). In der Tat waren Menschen in dem Bemühen, ihre Lauterkeit zu bewahren, zu allen Zeiten bereit, um der Gerechtigkeit willen zu leiden (1. Petrus 4:14-16). Die Bibel berichtet von vielen, die eine unerschütterliche Liebe zu Gott hatten und einen gerechten Lebenswandel führten, um ihn zu ehren und die Behauptung Satans zu widerlegen, er könne alle Menschen von Jehova wegziehen. Jeder einzelne, der leiden muß, weil er Gott gegenüber die Lauterkeit bewahrt, kann sich glücklich schätzen, den Teufel zum Lügner zu stempeln und das Herz Jehovas zu erfreuen (Sprüche 27:11).
Es ist Gott nicht gleichgültig, wenn seine treuen Diener leiden müssen. Der Psalmist David sagte: „Jehova stützt alle Fallenden und richtet auf alle Niedergebeugten“ (Psalm 145:14). Wer Jehova hingegeben ist, mag von sich aus nicht genügend Kraft haben, die Leiden im Leben und die Verfolgungen zu ertragen, denen Gottes Volk ausgesetzt ist. Doch Gott stärkt und stützt einen jeden und verleiht ihm die nötige Weisheit, damit er in allen Prüfungen ausharren kann (Psalm 121:1-3; Jakobus 1:5, 6). Falls Verfolger einige loyale Diener Jehovas töten sollten, so besteht für sie die Hoffnung, von Gott auferweckt zu werden (Johannes 5:28, 29; Apostelgeschichte 24:15). Sogar bis zu diesem Grad kann Gott die Auswirkungen des Leids, das denen widerfährt, die ihn lieben, wiedergutmachen. Er beendete die Leiden Hiobs und segnete jenen rechtschaffenen Menschen auf überströmende Weise. Desgleichen können wir zuversichtlich sein, daß Jehova sein Volk auch heute nicht im Stich lassen wird (Hiob 42:12-16; Psalm 94:14).
Bald kein Leid mehr!
Aufgrund der ererbten Unvollkommenheit und weil wir inmitten des gegenwärtigen bösen Systems der Dinge leben, muß demnach ein jeder leiden. Gottesfürchtige Menschen müssen auch deshalb mit Leiden rechnen, weil sie ihre Lauterkeit gegenüber Jehova bewahren wollen (2. Timotheus 3:12). Aber sie können sich freuen, denn bald wird Gott Tränen, Tod, Trauer, Geschrei und Schmerz ein Ende machen. Diesbezüglich schrieb der Apostel Johannes:
„Ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde; denn der frühere Himmel und die frühere Erde waren vergangen, und das Meer ist nicht mehr. Ich sah auch die heilige Stadt, das Neue Jerusalem, von Gott aus dem Himmel herabkommen, bereitgemacht wie eine für ihren Mann geschmückte Braut. Dann hörte ich eine laute Stimme vom Thron her sagen: ‚Siehe! Das Zelt Gottes ist bei den Menschen, und er wird bei ihnen weilen, und sie werden seine Völker sein. Und Gott selbst wird bei ihnen sein. Und er wird jede Träne von ihren Augen abwischen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch wird Trauer, noch Geschrei, noch Schmerz mehr sein. Die früheren Dinge sind vergangen.‘ Und der, der auf dem Thron saß, sprach: ‚Siehe! Ich mache alle Dinge neu.‘ Auch sagt er: ‚Schreibe, denn diese Worte sind zuverlässig und wahr‘ “ (Offenbarung 21:1-5).
Desgleichen erklärte der Apostel Petrus: „Doch gibt es neue Himmel und eine neue Erde, die wir gemäß seiner [Jehovas] Verheißung erwarten, und in diesen wird Gerechtigkeit wohnen“ (2. Petrus 3:13). Welch großartige Aussicht, deren Erfüllung kurz bevorsteht! Leben auf einer paradiesischen Erde kann dein freudiges Vorrecht sein (Lukas 23:43). Laß dich deshalb nicht verbittern, wenn du heute leiden mußt. Schau vielmehr optimistisch in die Zukunft. Hoffe zuversichtlich auf Gottes neue Welt, die so greifbar nahe ist. Lebe auf eine für Jehova Gott annehmbare Weise, und du wirst für immer in einer Welt ohne jegliches Leid leben können.